RUDOLF VON LABAN

Rudolf von Laban – Sohn eines hochrangigen österreichisch-ungarischen Offiziers – war zunächst Csárdástänzer. Seit 1907 studierte er Kunst in Paris. 1910 gründete Laban in München seine erste Tanzgruppe.

Während des Ersten Weltkrieges schuf er auf dem Monte Verità im schweizerischen Ascona eine Schule, die bald viele Anhänger der neuen Tanzkunst anzog. Hier führte Laban von 1913 bis 1919 seine berühmten Sommerkurse für Tanz durch. Er kam mit Émile Jaques-Dalcroze in Kontakt, dem er nach Hellerau bei Dresden folgte. Durch ihn lernte er Suzanne Perrottet kennen, die als Bewegungspädagogin und Tänzerin in Hellerau arbeitete. Perrottet sollte in Ascona und Zürich zu Labans wichtigster Mitarbeiterin (neben Mary Wigman und Katja Wulff), Geliebten und Mutter seines letzten Kindes (Allar Perrotet, später André Perrottet von Laban) werden.

1914 zogen Laban, seine Frau Maja Lederer, ihre zwei Kinder und Suzanne Perrottet gemeinsam nach Hombrechtikon bei Zürich. Dort lebte die erweiterte Familie aus Armut ähnlich wie auf dem Monte Verità, indem sie Lebensmittel selbst anbauten, viele handwerkliche Arbeiten ausführten und ihre Kleidung selbst nähten (z.B. entwickelte Suzanne Perrottet bequeme Kleidung für Alltagsarbeit und Tanz, die dem Reform-Gedanken zuzurechnen sind).

Laban gründete in Zürich eine Schule für Bewegungskunst. Sie umfasste interdisziplinär Tanzkunst, Pantomime, Improvisation und Experimente mit Körper, Stimme, Instrumenten, Texten, ja selbst Zeichnung. Später nannte er dafür nur noch die Begriffe: Form, Ton, Wort.

Den Abschluss eines großen vegetarischen und pazifistischen Kongresses Ende Sommer 1917 auf dem Monte Verità von Ascona bildete das dreiteilige Tanzdrama „Sang an die Sonne“ nach einem Text von Otto Borngräber. Es begann mit dem Untergang der Sonne, worauf der Tanz der Dämonen der Nacht folgte. Frühmorgens wurde die aufgehende, „siegende“ Sonne begrüßt als Ausdruck für die Hoffnung der Überwindung des Krieges und einer utopischen Höherentwicklung der Menschheit. An diesen Aufführungen wirkten u.a. Mary Wigman, Sophie Taeuber und Suzanne Perrottet mit.


Tanzunterricht im Choreographischen Institut Laban Berlin 1929
Im Jahr 1922 gründete Laban in Hamburg die Tanzbühne Laban. 1923 folgte die Gründung der ersten Laban-Schule, der ein eigener Bewegungschor angeschlossen war. Die zahlreichen Absolventen der Hamburger Schule trugen Labans Methode erfolgreich in verschiedene Städte in Deutschland und Europa weiter. In den Folgejahren entstanden auf diese Weise europaweit 24 Laban-Schulen.

Darüber hinaus baute Laban in Würzburg und Berlin ein Choreographisches Institut auf. Gemeinsam mit Dussia Bereska leitete er außerdem die Kammertanzbühne. Von 1930 bis 1934 übernahm er die Leitung des Balletts der Deutschen Staatsoper (Lindenoper) in Berlin. Eine sehr enge Zusammenarbeit verband ihn mit Joseph H. Pilates, einem Visionär der Bewegung und des Körpers.

Nachdem er 1936 noch die Choreographie der Olympischen Sommerspiele vorbereitet hatte, flüchtete er 1937 vor den Nationalsozialisten nach Manchester. In der Nähe von London gründete Laban mit Unterstützung des englischen Unterrichtsministeriums ein Bewegungsstudio, in dem er bis zu seinem Tode tätig war.

Werk

Laban bezeichnete das Ballett als historisch erstarrte Form und vermittelte den Tanz aus der Improvisation und individueller Gestaltung heraus als Ausdruck seelischen Erlebens. Seine raum-rhythmische Bewegungslehre (Choreutik) konkretisierte er vorwiegend im Modell des Ikosaeders. Mit seiner Antriebslehre (Eukinetik) konnte er die dynamische, energetische Qualität einer Bewegung erfassen.

In England beschäftigte sich Laban mit der Optimierung von Bewegungen in Arbeitsabläufen und entwickelte gemeinsam mit dem Industriellen F. C. Lawrence ein System der Bewegungsanalyse zur Ergonomie.

In seinen letzten Lebensjahren studierte er die Bewegungen von Industriearbeitern und psychisch Kranken. Dies war die Grundlage für seine Bewegungsnotation Kinetographie, die heute unter dem Namen Labanotation bekannt ist. Auf sein Lebenswerk aufbauend wurde in den USA die Laban Movement Analysis weiterentwickelt, in Deutschland als Laban-Bewegungsstudien bekannt.


Die von ihm entwickelte Tanzschrift, die Labanotation, wird weltweit zur Analyse von Bewegung genutzt, vorzugsweise aber für das Ballett. Laban gilt neben Émile Jaques-Dalcroze als wichtigster Anreger und Begründer des Deutschen Ausdruckstanzes.

Laban-Bewegungsstudien

Die Laban-Bewegungsstudien (egl. Laban Movement Analysis, LMA) sind eine von dem ungarischen Tänzer und Tanztheoretiker Rudolf von Laban (1879–1958) begründete und nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA von Irmgard Bartenieff weiterentwickelte Theorie der Körperbewegung. Die Bewegungsstudien werden in den Bereichen Tanz, Theater und Sport, aber auch in der Tanztherapie, Psychotherapie, Physiotherapie und Nonverbaler Kommunikation eingesetzt.

Sechs Kategorien der Bewegung
In den Laban-Bewegungsstudien werden heutzutage sechs Kategorien unterschieden, die folgende Fragen beantworten:

Körper
Was bewegt sich? Welche Bewegung wird ausgeführt?


Der Blick auf die Bewegung einzelner Körperteile und ihr Verhältnis zueinander schafft die Voraussetzung zum Erkennen von Körperstruktur und -organisation. Die Tätigkeiten des Körpers, die Körperaktionen sowie die Körperteile, welche die Bewegung initiieren, anführen oder dominieren, werden erfasst. 

Dies dient einerseits dem Verständnis von körperlichen Präferenzen und ermöglicht andererseits eine annähernde Objektivität körperbezogener Themen in der Beobachtung. Diese Kategorie hat Irmgard Bartenieff von Laban übernommen und wesentlich erweitert.

Raum
Wohin geht die Bewegung?

Mit der Raumharmonielehre erschließt Rudolf Laban das Verhältnis des Menschen zu dem ihn umgebenden Raum. Diesen strukturiert er ähnlich wie in der Architektur ein-, zwei- und dreidimensional und verwendet dazu die platonischen Körper (z.B. das Ikosaeder) als Modelle für den persönlichen Umraum (die Kinesphäre). Die innerhalb dieser Modelle von ihm geschaffenen Bewegungsskalen – vergleichbar mit musikalischen Tonleitern – folgen genau beschriebenen Raumwegen. Sie trainieren und vermitteln ein harmonisches Raumgefühl und fordern dazu heraus, sich auch in bisher unbekannten Bereichen der eigenen Kinesphäre zu bewegen. Dadurch werden Wachheit für die Raumnutzung und ein größeres dreidimensionales Bewegungsrepertoire angestrebt. In der Raumharmonielehre stellt Laban-Bewegungsstudien harmonische Affinitäten der Bewegungen im Raum zu den Kategorien Antrieb und Form her.

Antrieb
Wie wird die Bewegung ausgeführt? Mit welcher energetischen Qualität?

Laban beschreibt die Dynamik der Bewegung, die von ihm als Antrieb bezeichnet wird, mit verschiedenen objektiven Begriffen. Aus dem Bezug der Bewegung zu den Faktoren Gewicht/Kraft, Fluss, Raum (Aufmerksamkeit) und Zeit sowie deren zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten resultiert die Vielfalt möglicher Ausdrucksweisen. Die Analyse des Antriebes ist ein wichtiges Werkzeug, um die Qualität des nonverbalen Ausdrucks wahrzunehmen und zu benennen. Je nach innerer Verfassung, persönlicher Bewegungspräferenz oder äußeren Kontext ändert sich der Antrieb, der in einer Bewegung zum Ausdruck kommt.

Form
Wie wird die Bewegung ausgeführt? Mit welcher plastischen Formveränderung?


Die plastische Form des menschlichen Körpers ändert sich bei jeder Bewegung in Beziehung zu sich selbst und zu seiner Umwelt. Beobachtet man den Formaspekt der Bewegung, geht es darum, den Prozess der Formveränderung des Körpers im Raum zu beschreiben. Dem liegt der natürliche Atmungsprozess zugrunde. Sowohl über die Körperhaltung als auch über die Formveränderung im Raum wirkt die Formung unseres Körpers als starke nonverbale Komponente auf unserer Kommunikation. Die Formveränderungen unseres Körpers sind über Affinitäten und Disaffinitäten mit den Aspekten der Raumnutzung verbunden. Diese Kategorie wurde nach Labans Tod von Warren Lamb, Irmgard Bartenieff und Peggy Hackney weiterentwickelt.

Phrasierung
Wie ist der zeitliche Ablauf der Bewegung?

Erst die Phrasierung einer Bewegung in Bezug auf die oben genannten vier Bewegungskategorien (Körper, Raum, Antrieb und Form) bringt das Charakteristische im Bewegungsverhalten jedes Menschen zum Vorschein. Damit gemeint ist die Art und Weise, Bewegungen zeitlich zu strukturieren und zu betonen. Die Phrasierungspräferenzen als individuelles Bewegungsmuster können nach einiger Zeit der Beobachtung erkannt werden. Diese Kategorie wurde von Irmgard Bartenieff und ihren Mitstreitern, wie auch von Vera Maletic weiterentwickelt und von Europäischen Verband für Laban/Bartenieff Bewegungsstudien (EUROLAB) als eigenständige Kategorie anerkannt.

Beziehung
Wie setzt sich die bewegende Person in Beziehung zu etwas oder jemanden?

Die Beziehung einzelner Körperteile zueinander, von der bewegenden Person zu Gegenständen oder zu anderen Personen wird in dieser Kategorie betrachtet. Der Grad der Beziehung unterscheidet, wie der Körper in Bewegungen sein Gegenüber anspricht, annähert, berührt oder unterstützt. Die bewegte Bezugnahme kann gleichberechtigt sein oder ein Teil ist aktiver, der Andere passiver. Die Beziehung betrachtet auch die Art und Weise, wie die Körperfronten sich zueinander positionieren. Diese Kategorie wurde vor allem von Ann Hutchinson weiter ausdifferenziert und von EUROLAB als eigenständige Kategorie anerkannt.


Mit den insgesamt ca. 60 Parametern innerhalb der 6 Kategorien ist es möglich, die verschieden Aspekte einer Bewegung zu differenzieren. Ziel der Laban Bewegungsstudien ist, die verschiedenen Aspekte einer Bewegung sowohl zu erleben als auch zu beobachten, sie zu verstehen und zu gestalten.



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